Interviews

Interview mit Karin Lehmann

Interview mit Karin Lehmann (KL)
Geführt von Claudia Blank (CB), SIK-ISEA
Im Atelier der Künstlerin, Worblaufen bei Ittigen (BE)
8. Januar 2015

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Gips, 2010, Installation, Gips, Installationsansicht, Stauffacherstrasse Bern, 2010 (Foto: Karin Lehmann)

Static Piece, 2011, Installation, Styropor, Installationsansicht, Stadtgalerie Bern, 2011 (Foto: Karin Lehmann)

And then comes autumn and behind it winter, 2012, Installation, Ton, Installationsansicht, Centre Pasquart Biel, 2012 (Foto: Karin Lehmann)

And then comes autumn and behind it winter, 2012, Installation, Ton, Installationsansicht, Centre Pasquart Biel, 2012 (Foto: Karin Lehmann)

Black Edged, 2013, Installation, Glas, Russ, Installationsansicht, Aargauer Kunsthaus Aarau, 2013 (Foto: Rudolf Lehmann)

Pahoehoe, 2013, Skulptur, Gips, Rote-Beete-Saft, Installationsansicht, Centre Pasquart Biel, 2012 (Foto: Karin Lehmann)

Sediment Sampling, 2014, Installation, Ton, Wasser, Installationsansicht FAK14 Münster, 2014 (Foto: Karin Lehmann)

Sediment Sampling, 2014, Installation, Ton, Wasser, Installationsansicht FAK14 Münster, 2014 (Foto: Karin Lehmann)

Karin Lehmann im Atelier, Worblaufen, 3.4.2015 (Foto: Claudia Blank)

CB: Herzlichen Dank dafür, dass Du Dir Zeit nimmst für dieses Interview. Wir treffen uns in Deinem neuen Atelier. Du bist kürzlich umgezogen.

KL: Genau. Ich bin aus der Ryff-Fabrik im Marzili jetzt nach Worblaufen in ein grosses Industriegebäude gezogen. Das war früher eine Metallfabrik, also eine Schmiede und Dreherei. Es sind riesige Räume und riesige Fenster, und alles ist sehr industriell, mit Kränen und allem. Ich freue mich, jetzt hier Platz zu haben und eine grosse Türe.

CB: Im Moment sieht man noch nicht sehr viel. Aber ihr seid ja auch erst eine knappe Woche hier. Du teilst das Atelier mit Nino [Baumgartner], Lorenzo [Salafia] und Flurina [Sokoll].

KL: Genau. Dann wird es zusätzlich noch einen Ausstellungsraum geben, der von Mia [Sanchez] Dominic [Michel] und Andreas [Kalbermatten] organisiert wird und Riverside heisst. Bis jetzt haben wir noch keine Wände eingebaut, also ist alles noch sehr offen und gross. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Aber ich glaube, es ist ein gutes Team, und ich freue mich jetzt sehr, hier auch Austausch zu haben. Davor war ich ein Jahr lang alleine im Atelier. Das war zwar auch gut. Ich hab ja auch durch meinen Job an der HKB viel Kontakt mit Studierenden und mit verschiedensten Leuten...

CB: ... aber ihr sprecht nicht unbedingt über Deine Arbeit?

KL: Das überhaupt nicht. Und hier hab ich jetzt ein interessantes Umfeld, und ich freue mich, dass die Leute hier jetzt auch ein bisschen frischen Wind reinbringen.

CB: Ist es wichtig, dass Du Dich über Deine Arbeit austauschen kannst? Hast Du das ohnehin immer gemacht oder ist das jetzt eine neue Situation?

KL: Ja, es gibt manchmal so bestimmte Punkte in der Arbeit, wo man eine Zweitmeinung einholen muss. Aber ich spreche eigentlich nicht so oft und viel über meine Arbeiten mit anderen Leuten. Oft weiss ich ziemlich genau, was ich will, und dann mache ich das und merke dann auch, wenn es gut ist. Wenn es aber um eine wichtige Ausstellung geht, dann bin ich schon froh, von jemandem ein Feedback zu kriegen, damit ich nicht irgendwas mache, das ich im Nachhinein ganz schrecklich finde. Wenn man neue Dinge entwickelt, weiss man es selber manchmal nicht so genau. Das dauert dann oft ein paar Monate, bis man das mit genügend Distanz reflektieren kann. (Pause). Ja, mit Nino spreche ich natürlich immer. Oder wir diskutieren gegenseitig über die Arbeit des anderen. Zum Glück haben wir unsere ganz strengen Zeiten nie genau gleichzeitig, so dass wir uns unterstützen können.

CB: Ich möchte noch kurz auf Deine Biografie zu sprechen kommen. Du hast zunächst den Vorkurs und dann bis 2002 die Keramikfachklasse an der Schule für Gestaltung in Bern gemacht. Von 2006 bis 2009 hast Du den Bachelor in Bildender Kunst an der HKB gemacht.

KL: Genau. Nach der Keramikfachklasse habe ich zwei Jahre in einem Betrieb als Töpferin gearbeitet. Das war handwerklich eine Herausforderung, und ich habe sehr viel gelernt. Irgendwann wurde es mir dann aber zu einseitig, weil es halt pure Produktion ist. Es hat nichts mit Kreativität zu tun, und intellektuell fordert es auch nicht heraus. Und dann hab ich mir gedacht, ich muss mich jetzt weiterbilden und habe mir auch überlegt, vielleicht im Design-Bereich noch eine Ausbildung zu machen und habe verschiedene Praktika gemacht. Da habe ich dann gemerkt, dass die Arbeit als Designer vorwiegend Computerarbeit ist. Das wollte ich nicht. Ich muss einfach Material in den Händen haben. Klar, vor Kurzem habe ich realisiert, dass auch der Künstlerberuf zu fünfzig Prozent Büroarbeit ist. Das sagt dir in der Schule niemand. Nein, aber das ist nicht so schlimm. Es ist immer noch sehr viel Experimentieren und mit Material Dinge Herstellen. Jedenfalls habe ich mich dann für die Kunstschule angemeldet, und die haben mich genommen, also hab ich das gemacht. Aber am Anfang hatte ich ein Jahr lang voll die Krise.

CB: Warum das?

KL: Es ist mir so komisch vorgekommen. Man sitzt dann so in diesem Atelier, und es sagt dir ja niemand, was du machen sollst. Und dann sitzt man so da und denkt sich, was mache ich heute? Ich könnte ein bisschen zeichnen. Man muss sich die Aufgaben selber stellen und den Sinn darin selber suchen. Und warum, weisst du? Was sitze ich hier so rum, ich habe ja Energie, ich könnte ja arbeiten! Da brauchte ich ein wenig Anlaufzeit. Plötzlich hat es klick gemacht. Ich habe da eine Arbeit gemacht, das war eigentlich ganz lustig. Das war nach einem Jahr Kunstschule. Da habe ich im Keller dieses alten Schulhauses, der war ganz feucht, dieser Keller, da hatten sie wohl früher Kartoffeln gelagert oder so, jedenfalls habe ich dort Pilze gemacht, aus verschiedensten Materialien, aus Wachs...

CB: ... ach so, also Du hast nicht Pilze gezüchtet?

KL: Nein, ich habe sie nachgebaut und dann so platziert, dass es so aussah, als würden sie aus der Wand spriessen. Verschiedenste Sorten. Das hat unheimlich Spass gemacht, das zu machen, irgendwie war dann diese Zeit des Zweifelns vorüber. Natürlich zweifelt man immer noch ab und zu, aber nicht mehr ganz so grundlegend wie am Anfang.

CB: Wie bist Du eigentlich mit Kunst in Berührung gekommen? War die Kunst in Deinem familiären Umfeld ein Thema?

KL: Meine Mutter ist Lehrerin, und sie zeichnet sehr gut. Wir wurden immer gefördert. Wir haben Dinge gebastelt und auch Sachen aus Holz gemacht mit dem Vater. Da wurden wir sehr unterstützt. Mein Vater ist Physiker, und er hat nicht direkt mit Kunst zu tun, aber die schönen Dinge wurden immer sehr geschätzt in unserer Familie. Deshalb bin ich vielleicht auch Keramikerin geworden. Das Arbeiten mit den Händen hat eine gewisse Tradition, ich würde sagen, ich komme aus einer Handwerkerfamilie, wenn man weit zurück schaut. Meine Grossväter waren beide Schmied und Kunstschlosser, und das liegt wahrscheinlich schon irgendwie ein bisschen im Blut. Aber ich wurde auf alle Fälle unterstützt von meinen Eltern, ich meine, es ist ja nicht der einträglichste Beruf. Aber sie standen immer hinter mir und auch heute noch, ich werde auch heute noch unterstützt, was sicherlich viel ausmacht, um so einen Berufsweg überhaupt zu gehen. Es macht alles einfacher.

CB: Gab oder gibt es irgendwelche Vorbilder?

KL: Immer wieder. Die wechseln auch von Zeit zu Zeit. Als Kind, das weiss ich jetzt gar nicht mehr, war es wahrscheinlich Winnetou (lacht). Und später in der Ausbildung, ich habe meine Bachelor-Arbeit mit Daniela Kaiser gemacht, die hat mich da begleitet. Das war super, ein ganz wichtiger Austausch. Und natürlich auch Anselm Stalder während des ganzen Studiums. Ausserdem habe ich auch Künstler-Vorbilder, mit denen ich mich auch kritisch auseinanderzusetzen versuche.

CB: Wen würdest Du im Moment nennen?

KL: (Pause). Karla Black, beispielsweise. In meiner schriftlichen Arbeit habe ich über sie geschrieben. Ihre Arbeit hat mich lange Zeit sehr fasziniert, bis ich in Venedig an der Biennale eine Installation gesehen habe, die ich schrecklich fand. Dann hab ich das auch wieder ein bisschen kritischer betrachten können. Aber manchmal bin ich ziemlich geblendet und denke, wow, so toll! Jetzt zum Beispiel, im Moment bin ich völlig hin und weg von Pierre Huyghe. Ich habe eine Ausstellung gesehen in Paris und dann in London, in einer Galerie, und das hat mich wirklich umgehauen. Ich fand das so toll, wie er das schafft, diese Thematik von Kultur und Natur aufzunehmen, und das aber so vielschichtig. Da spielen ja dann auch immer ganz viele kunstgeschichtliche Referenzen mit rein. Und die Umsetzung der Sache ist einfach phänomenal, also ich meine die Skulpturen und die Materialität. (Pause). Phyllida Barlow ist auch immer noch ein Vorbild. Das ist eine englische Künstlerin, die sehr grosse Skulpturen macht, auch haptisch interessant, und die recycelt alles. Also, das, was sie nicht verkauft, das formt sie einfach um. Auch von ihrem Werdegang her finde ich sie spannend. Sie hat jahrelang unterrichtet, am Chelsea College in London, glaube ich, und fünf Kinder zur Welt gebracht und ihre Kunst gemacht. Sie ist einfach drangeblieben, aber niemand hat sie gekannt. Und irgendwann, da war sie bestimmt schon fast sechzig, ist Hauser & Wirth gekommen und hat sie in die Galerie aufgenommen. Krasser Lebenslauf. Das ist so eine Sache mit dem Erfolg. Es gibt ja ganz verschiedene Karrieren.

CB: Verfolgst Du irgendeine Strategie oder führt bei Dir eins zum andern?

KL: Strategie, ich weiss nicht. Ich glaub, ich höre da ziemlich auf mein Bauchgefühl. Es muss irgendwie stimmen. Wenn ich Anfragen kriege für Ausstellungen, dann muss das menschlich stimmen, mit den Kuratoren oder Kuratorinnen, die mich anfragen. (Pause). Ich mache manchmal Dinge nicht, weil ich denke, das macht sich nicht gut. Oder ich mache es trotzdem, aber sage nichts davon. Aber im Moment habe ich die Zeit gar nicht mehr für alles. Eine Strategie habe ich eigentlich nicht. Was ich nicht unbedingt möchte, ist so Shootingstar-mässig abzuheben. Mir gefällt das eben noch, wie bei Phyllida Barlow, dass es sich so langsam entwickelt. (Pause). Wer auch immer ein Vorbild für mich ist, ist Vanessa Billy. Ich finde, sie macht das super. Sie schafft es auch mit Familie, alles unter einen Hut zu bringen, trotzdem ist sie, wie soll ich das jetzt sagen, sie ist ja nicht überall. Sie ist einfach immer präsent und macht ihre Arbeit und zeigt immer mal wieder was. Es ist aber nicht so, dass sie jetzt gerade die Turbinenhalle der Tate füllen muss. Und ich glaube, dass sie sogar davon leben kann und das wäre natürlich schon irgendwann mal schön.

CB: Das kannst Du aktuell nicht?

KL: Nein.

CB: Du hast ja noch Deinen Job an der HKB, den Du schon erwähnt hast.

KL: Ja genau. Was auch super ist, also der Job macht auch Spass.

CB: Und Du kannst ja auch Synergien nutzen, also Infrastruktur.

KL: Infrastruktur, ja natürlich (lacht).

CB: Bei der Vorbereitung für dieses Interview habe ich mir auch nochmal Deine Homepage angeschaut. Die erste Einzelausstellung, die Du aufführst, ist die im sic! Raum für aktuelle Kunst, 2009. Wie kam es dazu, dass Du gleich in Luzern ausgestellt hast? Du bist ja aus Bern, und man würde denken, dass es näherliegende Möglichkeiten für Dich gegeben hätte.

KL: Ja, das kam so, weil ich Nadine Wietlisbach gut kenne. Wir haben gemeinsam die BMS gemacht und sind seitdem sehr gute Freundinnen. Sie hat damals sic! sogar noch alleine gemacht, glaub ich. Das war in der Anfangszeit. Da hab ich mich natürlich gefreut, aber es war auch eine grosse Herausforderung. Da hatte ich noch nicht so viel Erfahrung. Ich habe einen Wald im Ausstellungsraum gemacht und dafür Gehölz von überall her angeschleppt. Das würde ich heute wahrscheinlich nicht mehr zeigen. Ich habe mir da auch etwas eingebildet, das ich machen wollte, und es hat überhaupt nicht funktioniert. Ich hatte alles abgedunkelt und man sollte mit einer Taschenlampe durchgehen. Natürlich hat man trotzdem den Raum noch überall gesehen. Ich habe versucht, gegen den Raum zu arbeiten, und das hat nicht geklappt. Aber es war auf jeden Fall eine wichtige Erfahrung.

CB: Und dann hast Du zwischen 2010 und 2012 den Master an der HKB gemacht. Warum hast Du Dich dafür entschieden, noch diesen Master zu machen oder was ist der Mehrwert davon?

KL: Das ist eine gute Frage. (Pause). Nach dem BA-Abschluss habe ich für ein Jahr frei gearbeitet. Und dann war diese Stelle ausgeschrieben bei Thomas Strässle in einem Nationalfonds-Forschungsprojekt zum Thema Intermaterialität. Ich habe mich beworben und diese Stelle gekriegt, und das war verbunden mit einem Masterstudium. Das war eigentlich super, weil ich so den Master machen konnte und dafür einen Lohn gekriegt hab. Ich konnte davon leben.

CB: Ach so. Das ist natürlich ein starkes Argument.

KL: Ich glaube, ich hätte den sonst sicher nicht sofort gemacht. Und dann vermutlich auch nicht unbedingt in Bern. Das wäre ja eigentlich das Gute an diesem System, dass man dann die Schule oder sogar das Land wechseln könnte. Ich habe mir auch immer wieder überlegt, in London zu studieren. Das hätte ich auch gerne gemacht, aber das ist einfach unglaublich teuer. Ich glaube nicht, dass ich das hätte bezahlen können.

CB: Aber Du bist ja dann trotzdem nach London gegangen.

KL: Ja, genau. Als ich den Master fertig hatte, dachte ich, ich muss jetzt doch mal weg aus Bern, weil ich einfach immer hier war. Und ich dachte, ich muss jetzt in eine grosse Stadt. Nicht nur nach Zürich, sondern richtig. Und dann bin ich nach London gezogen und konnte da auch im Atelier eines Kollegen arbeiten. Das war eine gute Zeit. Ich war ein halbes Jahr da und habe in einer WG gelebt mit Kunststudenten, die da am Royal College gerade ihren Abschluss machten. Das war super, weil die natürlich auch die ganze Szene gekannt haben und mich mitgenommen haben an die Openings und an all diese Anlässe.

CB: Da konntest Du Kontakte knüpfen?

KL: Jaja, das ging ganz schnell.

CB: Und Du hattest ja dann auch eine Ausstellung.

KL: Ja, ich habe verschiedene Sachen gemacht. Und das war zum Beispiel auch Vanessa [Billy] zu verdanken. Sie hat mich für eine Gruppenausstellung in der Limoncello Gallery eingeladen. Dort hat sich ein guter Kontakt ergeben. Und daraus wiederum ist jetzt eine Ausstellung zustande gekommen, die findet jetzt dann im April in einer anderen Galerie im East End statt. (Pause). Es war natürlich schon sehr spannend, in einer anderen Stadt zu sein und zu sehen, wie es dort läuft. Da gibt es wohl so viele Kunstschulen wie wahrscheinlich in der ganzen Schweiz und jedes Jahr schliessen viele hundert Kunststudenten ab. Und alle wollen in diese Galerien. Das war schon so ein bisschen absurd. Ich hab das ein wenig von aussen betrachten können. Ich habe von einem neutralen Standpunkt aus reingesehen. Und ich bin das auch ziemlich locker angegangen. Das war vielleicht auch gut so. Oder vielleicht auch gerade weil ich nicht in London studiert habe, könnte ich mir vorstellen, dass dann auch die andere Galerie auf mich aufmerksam wurde. Da wirst du plötzlich zum Exoten (lacht). Vielleicht liege ich falsch. Aber ich hatte schon das Gefühl, weil du bist dann halt ein bisschen anders. Obwohl, diese Schule in Bern, die kennt ja niemand.

CB: Hast Du niemals in Betracht gezogen, Dich für ein Atelierstipendium zu bewerben? London hast Du ja selber finanziert.

KL: Von Bern aus hast du nur eine beschränkte Auswahl. Paris und sonst noch was. Aber sicher nicht London. Also, wenn ich nach Paris müsste, dann wäre das schlimm. Ich kann kein Französisch, und ich bin einfach nie mit dieser Stadt warm geworden. Ich habe mich auch nie wirklich damit auseinander gesetzt. Nino war in der Cité [Internationale des Arts, Paris], und ich habe ihn da besucht, und ich fand es einfach nur schrecklich! Das erste, was ich da erlebt habe, war, dass wir nicht ins Zimmer konnten, weil sie alles eingesprüht hatten wegen Bettwanzen. Das muss nicht sein (lacht). Nein, ich weiss auch nicht, vielleicht hab ich es einfach auch verpasst, mich um das Stipendium zu kümmern. New York zum Beispiel, da würd ich gerne hin.

CB: Was Du ja gekriegt hast, war das Reisestipendium des Kantons Bern, 2013.

KL: Genau. Das war eigentlich viel, viel toller als ein Atelierstipendium. In London hab ich die Erfahrung gemacht, dass ich allein zwei Monate gebraucht hab, um all mein Material zusammenzusuchen und mein Atelier so einzurichten, dass ich arbeiten konnte. Ich brauche halt Material und ich brauche Werkzeug. Ich brauche ziemlich vieles, bis ich überhaupt anfangen kann. Deswegen finde ich diese Atelierstipendien für mich nicht ideal. Ausser vielleicht wenn es gleich für ein Jahr wäre. Aber alles was kürzer ist, lohnt sich nicht wirklich.

CB: Was bei den Atelierstipendien sicher gut ist, ist, dass man dann oft in einem Haus mit anderen Stipendiaten ist. Und man hat dadurch Anschluss und Austausch.

KL: Ja, das ist sicher so. Nino fand es super in der Cité. Und er hat dort sehr gute Leute kennengelernt. Ich glaube, das ist dann fast das Wichtigste. Aber das Reisestipendium war von daher für mich viel wertvoller. Ich konnte nach Island, was ich sonst niemals hätte bezahlen können. Und ich bin dann auch einfach gereist und habe mir alles angeschaut. Das hat mir viel mehr gebracht, als dort Arbeiten zu produzieren.

CB: Du warst ein halbes Jahr da?

KL: In Island? Nein, zwei Monate.

CB: Und dann hast Du Dir ein Auto gemietet und bist einmal rundherum gefahren?

KL: Ja, rundherum und querfeldein. Und noch in die Westfjorde und so.

CB: Das heisst, Du hast da nicht gearbeitet, sondern einfach die Landschaft und die Stimmung auf Dich wirken lassen?

KL: Genau. Und tausend Bilder gemacht und ein bisschen gezeichnet und Notizen gemacht. Ich war auch auf einer Geologie-Exkursion. Ich hab halt alles so aufgesaugt.

CB: Du hast auch Steine mitgenommen!

KL: (lacht) Warum weisst Du das?

CB: Ich glaube, ich habe das auf Facebook gesehen. Ich war auch mal in Island, und ich weiss, dass man das nicht darf (lacht).

KL: Ja, aber das Reisen war super. Und lustigerweise habe ich hinterher gemerkt, dass diese Erfahrung in meiner Arbeit doch irgendwie zum Ausdruck kommt. Beispielsweise bei dieser Arbeit mit den Töpfen, wo das Wasser so steht, wie die Eisberge im Jökulsárlón! Es hat so viel Ähnlichkeit. Auch dieses Geologische, dieses Erodieren und Transformieren. Und jetzt bin ich ja gerade dabei, Lavagüsse zu machen.

CB: Es ist also nachhaltig.

KL: Es ist sehr nachhaltig.

CB: Lavagüsse? Wie muss ich mir das vorstellen? Du schmelzt tatsächlich Lava wieder ein?

KL: Ja genau, Basaltkies. Also, es ist jetzt noch nicht zu fertigen Skulpturen weiterentwickelt. Ich mache jetzt erste Experimente. Aber es wird eigentlich im Keramikbrennofen eingeschmolzen, ja. Bei 1200 Grad.

CB: Und dann hast Du eine Negativform und giesst es da rein?

KL: Ja. Also es wird eingefüllt und dann in dieser Form in den Ofen geschoben.

CB: Ich bin gespannt. Das ist jetzt grad ein guter Punkt: Du machst bisher eigentlich alles selbst, oder? Du hast kaum mal etwas in Auftrag gegeben. Ich kann mich nur an diese Pfütze erinnern, von der ich weiss, dass Du sie hast schleifen lassen.

KL: Ja, das stimmt. Ausserdem habe ich zwei Güsse machen lassen.

CB: Könntest Du Dir vorstellen, die Produktion irgendwann abzugeben, wenn es das Konzept erfordert? Oder behältst Du das bewusst in Deiner Hand?

KL: Das ist schon bewusst. Ich kann natürlich nicht selber Bronze giessen. Aber ich komme in meinem Arbeitsprozess so oft auf neue Ideen. Die ganze Herstellung der Dinge birgt ein so grosses Potenzial, woraus ich wieder neue Sachen generieren kann, dass ich das gerne selber mache. Die Arbeit am Objekt bringt mich eigentlich immer weiter. Es gibt schon Momente, wo ich Hilfe brauche. Wenn ich zum Beispiel in zwei Tagen eine Ausstellung im Centre PasquArt einrichten muss und alle Scheiben mit Rote-Beete-Saft anstreichen muss (lacht). Dann bin ich natürlich froh, wenn mir jemand helfen kann. Aber sonst produziere ich die Dinge gerne selbst, wenn es irgendwie geht. (Pause). Manchmal frage ich mich, ob ich mir dadurch auch Grenzen auferlege. Ich kann ja definitiv überhaupt nicht alles. Aber andererseits ist es auch meine Einstellung, mit einfachen Materialien zu arbeiten, und ich verarbeite sie auch auf einfache Weise. Wie ich es halt kann. Dann versuche ich, daraus aber etwas zu machen, das irgendwie überraschend ist. Etwas, das man so normalerweise nicht sieht, das auch ein bisschen magisch ist.

CB: Wie gehst Du denn vor in Deinem Arbeitsprozess? Skizzierst Du die Skulptur oder arbeitest Du direkt am Objekt?

KL: Manchmal skizziere ich. (Pause) Elementar sind aber die Experimente, die ich mache. Ich nehme zum Beispiel einen ungebrannten Tontopf und dann fülle ich ihn mit Wasser und schaue was passiert. Das Ding steht dann vielleicht ein Jahr im Atelier rum und es passiert gar nichts damit. Dann mache ich tausend andere Dinge. Und plötzlich denke ich, jetzt brauche ich eine Idee für eine Ausstellung im Alpineum. Und dann nehme ich fünf Tontöpfe und stelle sie auf eine Glasplatte. Damals war’s sogar so, dass die mich danach gefragt haben, weil ich ein Work-in-Progress-Bild auf der Webseite hatte. Die wollten das zeigen. Ich hatte mir noch gar nicht überlegt, dass das eine Arbeit werden könnte. So entwickelt sich das plötzlich.

CB: Du arbeitest auch oft spezifisch auf Ausstellungen hin?

KL: Ja, schon oft. Und dann baue ich auch immer ein Modell. Wichtig ist, dass ich den Raum kenne, um damit interagieren zu können. Aber da kommt es darauf an, in welchem Umfang die Ausstellung ist.

CB: Das Erste, was ich von Dir gesehen habe, war die Ausstellung im Milieu, das war 2010. Da hast Du eine Reihe von Skulpturen in ganz unterschiedlichen Materialien gezeigt, unter anderem auch diese bereits erwähnte Pfütze, die eine grosse Anziehung auf mich hatte. Ich war aber vor allem auch beeindruckt von der Art und Weise, wie Du mit ganz einfachen Eingriffen eine Stimmung erzeugt hast. Ich fühlte mich an eine Western-Landschaft erinnert.

KL: Das ist schön! Wegen dem Kaktus?

CB: Ja genau. Und auch wegen diesen Werkzeugen, die an die Wand angelehnt waren und an Knochen denken liessen. Seitdem ist mir dieses Bildhafte oder Erzählerische in Deiner Arbeit aber nicht mehr so stark aufgefallen.

KL: Das finde ich interessant, dass Du das sagst. Das mit dem Garten, das hat damals Alessa [Panayiotou] auch in ihrem Text aufgenommen, dass es wie ein Wandeln durch einen Garten ist, wenn man zwischen den Objekten durchgeht. Das hat eigentlich mit der Diplomarbeit im Kunsthaus Langenthal begonnen. Da habe ich mit verschiedenen Elementen eine Mondlandschaft angedeutet, durch die man auch durchgehen konnte. Dieses Landschafts- oder Gartendenken, das ist schon wichtig.

CB: Wo ich es dann wieder ein bisschen gesehen habe, das war vorletztes Jahr im Aargauer Kunsthaus. Da hast Du diese Arbeit mit den geschwärzten Glasscheiben gezeigt. Die gebrochenen Kanten haben dann einen Horizont gebildet.

KL: Ja klar. Das war auch so intendiert. Diese Arbeit hat sich auch fast zufällig entwickelt. Da habe ich mal ein Stück Glas über eine Kerze gehalten, ich weiss gar nicht mehr warum, und ein bisschen rumgerusst. Und dann ist das gesprungen.

CB: Das war ein Zufallsprodukt?

KL: Ja, irgendwie schon. Ich suche ja auch nach diesen Zufallsprodukten, indem ich mit den Materialien Dinge mache, die man eigentlich nicht macht. Und dann hab ich diese grossen Scheiben gemacht. Interessant ist dabei ja, dass in China die Tusche genau so hergestellt wurde. Vielleicht ist das sogar heute noch so. Sie haben Glasplatten angerusst und dann die schwarze Farbe wieder abgeschabt und damit die Tusche hergestellt. Das finde ich eine schöne Geschichte zu dieser Landschaftszeichnung, die durch diese Glasplatten entsteht. Eigentlich hat es ja von der Ästhetik her auch was von diesen chinesischen Tuschezeichnungen mit den Bergen im Nebel und so.

CB: Wir haben ja jetzt gerade über dieses Bildhafte gesprochen, das, wie ich fand, in Deiner Arbeit plötzlich nicht mehr so präsent war. Denkst Du, dass es vielleicht auch damit zu tun hat, dass Du Dich im Rahmen dieser Masterstelle an der HKB besonders mit dem Material auseinandergesetzt hast?

KL: Ja, ich glaube schon. Ich habe mir das noch nie so überlegt, aber ich glaube schon. Ich habe mich da auch ein wenig darin verloren. Da war ich völlig auf dieses Materialdenken fokussiert. Nicht weil ich musste, ich habe mich da selber hineinmanövriert. Ich hatte auch den Eindruck, ich hätte etwas Besonderes rausgefunden über die Verschiebung von Materialidentitäten und so. Das war mein Exkurs in den Bereich der künstlerischen Forschung.

CB: Ich kann mich an ein Gespräch erinnern, das bei Alain Jenzer [Freipass] stattgefunden hat. Du hast da einen Styroporblock vorgestellt, den Du mit Sprühfarbe angesprayt hattest.

KL: Genau. Das ist ein treffendes Beispiel dafür. Das war mir dann aber irgendwann auch ein bisschen zu abstrakt, dieses nur auf das Material fokussierte Denken.

CB: Ich möchte trotzdem noch kurz dabei bleiben. Du hast im Centre PasquArt, in Deiner ersten grossen Einzelausstellung, Arbeiten gezeigt, die in Erscheinung und Materialität überraschen. Da gab es beispielsweise diesen Lappen, den man eigentlich als etwas Weiches kennt, der dann aber hart und tragend war. Dieses Thema der Materialidentitätsverschiebung, wenn man so sagen kann, hat Dich da schon auch noch beschäftigt.

KL: Ja, natürlich. All diese Materialerfahrungen, darauf baue ich natürlich auch auf. Ich habe mich auch lange mit Materialtransfers auseinandergesetzt, also Materialien, die so tun als wären sie etwas Anderes. Ich versuchte, daraus nicht ein Rätselraten zu machen, sondern es so zu inszenieren, dass klar ist, dass da etwas nicht stimmt. Dennoch sollte es reizvoll und nicht zu plakativ sein. Bei dem Werk, das Du angesprochen hast, ist das vielleicht auch ein bisschen daraus entstanden. Das Tuch stützt ja da das Metall, obwohl es so aussieht, als ob es am Metall hängen würde.

CB: Da hast Du, glaube ich, auch das erste Mal mit Farbe gearbeitet, oder?

KL: Ja, das stimmt. Ich habe noch immer Angst vor der Farbe (lacht). Ich glaube das kommt daher, dass man sich dafür entscheiden muss. Wenn ich Farbe aus der Tube nehme, dann muss ich ja auch irgendwie begründen, warum ich jetzt Grün nehme und warum gerade dieses Grün. Ausserdem kann ich auch überhaupt nicht malen. Das Gebiet ist mir so fremd, dass ich mich dabei sofort überfordert fühle. (Pause). Ich suche immer nach Wegen, wie das Material mir solche Entscheidungen abnimmt. Das gleiche Problem ist die Form. Wenn ich es schaffe, dass das Material selber die Form generiert, dann bin ich immer ganz froh. So ist es auch mit der Farbe. Für die Ausstellung im PasquArt hatte ich dieses Material gefunden, den Rote-Beete-Saft, der eine tolle Farbe hat, die ihm eigen ist. Da musste ich nicht begründen, warum es jetzt dieses Pink ist, es ist einfach eine Materialentscheidung.

CB: Ich würde ganz gerne noch auf die Gattungsfrage eingehen. Du hast Dich bei der Masterdiplom-Ausstellung, die ja auch im PasquArt stattgefunden hat, sehr stark mit der Skulptur als Gattung, mit der Skulptur an sich beschäftigt. Da hast Du etwa auch einen Finger nachmodelliert, der einem Gipsabguss einer antiken Skulptur abgebrochen war.

KL: Genau. Das war so eine Guerilla-Restauration (lacht). Das wissen die bis heute nicht, hoffe ich. Ich habe ihn dann dran gelassen.

CB: Das finde ich sehr schön. Wenn ich das mal kurz interpretieren darf, Du musst mir sagen, wenn ich da total daneben liege, Du hast da also etwas repariert, bist an die Wurzeln Deiner Gattung gegangen und hast diese quasi restauriert, um sie dann aber mit anderen Arbeiten wieder völlig zu hinterfragen, zu dekonstruieren.

KL: Das war auch so ein Moment, wo ich mich mit dem Ganzen, mit der Definition von Skulptur auseinandersetzen wollte, um mir selber bewusst zu werden, was es bedeutet, wenn man heute Skulptur macht oder wenn man sich Bildhauerin nennt. Zuerst wollte ich auch unbedingt noch einen Marmorblock in der Ausstellung haben.

CB: Nur den Block, unbearbeitet?

KL: Nein, der Block wäre mit Blitzzement überzogen gewesen. Man hätte ihn gar nicht als solchen erkannt. Man hätte aber gesehen, dass es ein überzogenes Material ist und hätte vermutlich angenommen, dass es Styropor wäre. Es ging aber nicht, weil es zu schwer war fürs Museum. Ausserdem wäre es sehr teuer geworden und letztlich war es auch viel besser ohne. Ich habe dann vier Arbeiten gezeigt, und die haben sich ums Thema Skulptur und was Skulptur sein kann gedreht. Aber die Skulptur im klassischen Sinne war nicht da. Der Marmor hat gefehlt. Es war eigentlich konsequenter so. Hinterher bin ich froh, dass es nicht geklappt hat.

CB: Was ich da auch sehr schön fand, war, dass die Komponente der Zeit noch mit rein kam. Ich meine durch diese Tonklumpen, die Du an die Decke geworfen hast, und die dann durch den Trocknungsprozess über die Dauer der Ausstellung nach und nach runterfielen. In dem Fall ist es ja nicht wirklich eine Zerstörung, die stattfindet, aber vielleicht doch eine Form des Zerfalls, was letztlich auch einfach eine Materialeigenschaft ist. Kannst Du zu diesem Aspekt der Zeit etwas sagen? Ist das etwas, das Dich noch immer begleitet?

KL: Ja, das interessiert mich auch. Ich habe nun schon mehrere Arbeiten gemacht, wie diese Tonbällchen-Arbeit, die man nach der Ausstellung entsorgt. Man muss es dann halt wieder neu machen. Das hat aber sehr viele Vorteile. Man muss es nicht lagern, nicht transportieren. Das Arbeiten mit Prozessen und diesem zeitlichen Aspekt kommt sicher auch daher, dass ich viel in der Natur bin. Natürliche Prozesse und Zyklen, das finde ich wichtig.

CB: Du hast ja auch einen Garten, oder?

KL: Jetzt nicht mehr, aber ich hatte einen. Diese Installation für die Diplomausstellung damals im PasquArt hab ich sogar Skulpturengarten genannt, und für die schriftliche Arbeit dazu habe ich mir einen fiktiven Skulpturengarten erdacht. Da spaziere ich durch und begegne meinen Vorbildern und meinen eigenen Arbeiten. Die Installation mit den Tonbällchen habe ich in allen Räumen gemacht, auch dort, wo die Kunstwerke der anderen waren. Das hat sich so durchgezogen wie ein Wetter, das irgendwas mit dem Besucher macht. Es konnte ja sein, das man getroffen wurde. Man kann’s nicht ignorieren, obwohl es nur kleine Bällchen sind.

CB: Das fand ich schon noch eine starke Intervention auch in die Räume der anderen.

KL: Ja, das war ziemlich frech. Die waren aber einverstanden damit. Die haben mir auch geholfen, die Bällchen an die Decke zu schmeissen. (Pause). Aber das Lustigste dabei war ja, bei der Besprechung mit den Experten gab es eine Art Prüfungsgespräch. Ulrich Loock wollte etwas Kritisches sagen. Ihm war alles zu klein und so. Dann sagte er sowas in der Art von „Es berührt mich einfach nicht!“, und genau in diesem Moment (lacht) löste sich ein Bällchen und traf ihn.

CB: (Lacht) Das Argument hätte besser nicht sein können. (Pause). Ich würde gerne noch auf die Werktitel zu sprechen kommen, die, so finde ich zumindest, oft auch etwas Komisches, Humoristisches haben. In der zweiten Ausstellung an der Stauffacherstrasse hiess Dein Beitrag Pots and Potatoes. Es bezeichnet eigentlich nur das, was es ja auch war. Bist Du da von den Begriffen ausgegangen?

KL: Es ist schon wichtig, dass es gut klingt. Ein wenig wie der Titel eines Popsongs. Ich habe auch sehr lange die Dinge einfach danach benannt, was sie sind. Gips heisst halt Gips. Und Kartoffel heisst Potato. Manchmal, wenn die Arbeiten sehr abstrakt sind, oder weil es so sehr ums Material geht, versuche ich, mit dem Titel noch eine ganz kleine Mikrogeschichte zu erzählen, das Ganze noch ein wenig zu unterfüttern. Manchmal gelingt es besser und manchmal weniger gut. Das mit den Kartoffeln hat sich einfach so ergeben, weil es halt auch gut klingt und es genau das war: Töpfe mit Kartoffeln drin.

CB: Im Kunstbulletin habe ich in diesem Zusammenhang noch etwas gelesen. Daniel Morgenthaler hat über Deine Socken geschrieben. Du hast ja diese Gipssocken im ersten Raum der Sklupturen-Ausstellung [sic!] platziert, und er meinte dazu, dass es keine Sockel gäbe, dafür aber Socken. Können solche begrifflichen Analogien tatsächlich zu Leitmotiven werden für Dich?

KL: Daniel hat das sehr gut gesehen, ich habe mir das gar nie überlegt. Ich hatte mit diesen Socken schon eine Weile experimentiert. Es sind ja so abgestreifte Socken, die einfach auf dem Boden liegen. Ich habe die Socken angezogen, dann bin ich in den Kübel mit Gips reingestanden, und dann hab ich sie ausgezogen und so hingelegt. Für mich war das in diesem ersten Raum der Ausstellung auch ein bisschen metaphorisch: aus den Socken schlüpfen und Bodenkontakt aufnehmen. Dieser Intro-Raum war ja auch noch ganz nah am Arbeitsprozess mit diesem blubbernden Kübel.

CB: Mit dem Sockel hast Du Dich noch nicht wirklich beschäftigt, bisher?

KL: Das stimmt, das hab ich bis jetzt erfolgreich umschifft. Ich habe es einfach ausgelassen. Aber ich glaube, das kommt noch auf mich zu, jetzt dann bald. Ich bin jetzt bei den Säulen angelangt.

CB: An der Weihnachtsausstellung 2013 hast Du in der Kunsthalle Bern die Installation Space Pizza! gezeigt. Flach an die Wand gehängt, wären es eigentlich Reliefs in der Form von Tondi, also wieder etwas sehr Klassisches. Du hast sie aber entlang der Kante in die Wand gesteckt. So wirken sie extrem gefährlich. Und das war mal wieder eine Arbeit in Metall...

KL: ...ja, das ist eigentlich aus der Schweisslust entstanden. Ich habe damals gerade angefangen, in der Werkstatt der HKB zu arbeiten und hatte wieder die ganze Schlosserei zur Verfügung. Dann musste ich einfach wieder mal etwas schweissen, und ich habe diese Pizzas gemacht. Ich wusste lange Zeit nicht, ob ich die überhaupt zeigen soll. Aber ich fand’s dann doch auch lustig. Es dauerte dann aber noch eine Weile, bis ich wusste, dass ich sie so platziert haben möchte. Hätten sie irgendwo gelegen, wäre es beliebig gewesen. Aber auf diese Weise wurden sie zu Ufos, die aus dem Weltraum direkt in die Kunsthalle geflogen kamen. Die Inszenierung war bei dieser Arbeit elementar. Ich fand auch den Ort super, im Treppenhaus. Das war auch ein Zufall – es war der letzte Platz, der noch frei war. Es hat dann aber völlig gestimmt. (Pause). Ausserdem, ich weiss nicht genau, ob Eisenplastik der richtige Begriff dafür ist, aber ich wollte auch eine kleine Anspielung auf diese alte Gattung der Eisenplastik machen. Ich glaube, ich hatte es da auch als Eisenplastik deklariert, nicht als Skulptur oder Objekt.

CB: Lass uns noch über den Kunstbetrieb sprechen. Welche Personen oder Institutionen aus dem Kunstbetrieb spielen für Dich im Moment eine wichtige Rolle?

KL: Sicher Nadine Wietlisbach, als Freundin und als Kuratorin, die mittlerweile viel Erfahrung hat. Und dann natürlich auch Felicity Lunn mit dem Centre PasquArt. Sie hat mich eingeladen für diese Ausstellung, die eine wichtige Ausstellung für mich war. (Pause). Die Kunsthalle Bern ist einfach eine wichtige Institution, wenn man in Bern lebt. Da passiert einfach viel, und da werden Dinge aus der Welt nach Bern geholt. (Pause). Es wäre eigentlich mein Wunsch, mich mehr zu engagieren für die Kunst oder die Institutionen in Bern. Gerade jetzt auch, da ich mich entschieden habe, wieder hier zu leben, und ich es auch toll finde mit dem neuen Atelier. Ich glaube, Bern hat ein Riesenpotenzial. Man muss einfach etwas daraus machen. Ich kann mir schon vorstellen, mich stärker zu engagieren, vielleicht auch auf der politischen Ebene. Ich bin jetzt auch Visarte-Mitglied.

CB: Was spricht denn für den Standort Bern, dass Du Dich wieder dafür entschieden hast?

KL: Ausschlaggebend war dieser Job an der HKB. Das ist eigentlich einfach mein Traumjob. Ich hätte wohl nirgendwo sonst so schnell einen ähnlichen Job gefunden. Hier hat’s halt einfach grad gepasst. Und jetzt auch mit diesem Raum hier. Wir haben so viel Platz, es gibt gerade keinen besseren Ort! Ausserdem kann ich mein Material überall beziehen, ich habe ein grosses Auto zur Verfügung, auch weil ich an der Schule arbeite. Es ist einfach alles perfekt eingerichtet. Und trotzdem, ich muss mich schon an der Nase nehmen, dass ich auch raus gehe und nicht einfach hier sitzen bleibe. Aber ich habe ein GA, und ich fahre oft mal nach Zürich oder nach Basel. Das ist wichtig. Oder auch ins Ausland. Ich bin auch froh, dass ich jetzt immer mal wieder etwas im Ausland zeigen kann. Dann ist es völlig ok, in Bern zu wohnen. Dann muss man nicht diese latente Angst haben, dass man nie mehr rauskommt. Bern bietet mir eine super Basis, und von hier aus gesehen, steht mir alles offen. Ich habe auch meine Erfahrungen in London gemacht und gemerkt, dass es schon möglich wäre, da auch etwas aufzubauen. Als mir dann das Geld ausging, wäre ich wahrscheinlich Kellnern gegangen für 5 Pfund die Stunde. Und dann hätte ich aber keine Zeit mehr, um Kunst zu machen, weil ich dauernd nur für Geld arbeiten müsste. Hier habe ich auch einen guten Lohn. Es spricht vieles dafür, hier zu sein.

CB: Warum hast Du bisher noch keine Galerie?

KL: Ich wollte nichts überstürzen. Wenn man es nicht gut trifft, ist das nicht schön. Vielleicht bahnt sich mit der Seventeen Gallery in London was an, könnte sein. Wir haben noch nicht wirklich darüber gesprochen, aber die haben etwas mitgenommen nach Miami und auch was verkauft. Da habe ich ein gutes Gefühl dabei, ich glaube, das könnte was werden. (Pause). Diese Galerie, die haben ziemlich viel Videokunst im Programm und Positionen, die von der Ästhetik her eher in die digitale Richtung gehen. Eigentlich überhaupt nicht mein Stil. Aber ich glaube, das ist genau das Tolle! Ein Freund sagte mal zu mir: „Weisst du, Deine Sachen sehen immer so ein bisschen altbacken aus, dann ist doch das der beste Kontext für deine Arbeit.“ (lacht). Ich finde, er hat total recht damit. Sonst werde ich plötzlich noch völlig zur Biokünstlerin (lacht). Nein, ernsthaft, ich glaube, es gäbe einen guten Kontrast und wäre für mich ein guter Kontext. Jetzt gibt es erstmal eine Ausstellung im Frühsommer, und dann sehen wir weiter.

CB: Und was ist mit den Swiss Art Awards? Hast Du da noch gar nie mitgemacht?

KL: Doch, die wollen mich aber nicht! Ich habe mich etwa schon dreimal beworben, und es hat nie geklappt.

CB: Ich habe einfach noch nie etwas von Dir an diesen Ausstellungen gesehen und konnte mir aber nicht vorstellen, dass die Dich nicht wollen.

KL: Doch, das ist genau so. Aber weisst Du, ich glaube, es gibt viele gute Positionen im Bereich Material und Installation aus der Romandie. Das ist einfach eine grosse Konkurrenz. Das muss man akzeptieren. Ich weiss jetzt nicht, wann ich mich wieder bewerben soll. Man hat ja jetzt lange Zeit und aber nur diese fünf Leben, wovon ich drei schon verspielt habe. Vielleicht warte ich jetzt mal eine Weile. Es ist natürlich eine tolle Plattform, und das Geld ist auch gut. Aber dieser Job, den ich jetzt habe, das ist für mich viel die bessere Förderung als das Stipendium.

CB: So ein Preis kann doch nicht schaden für den CV...

KL: Nein, natürlich nicht, das wäre schon super. Letztes Jahr habe ich mich beworben und davor mal, das war damals noch während des Studiums, was vielleicht nicht so klug gewesen ist.

CB: Du hast gerade noch die Romandie erwähnt. Da hattest Du auch schon ein paar Ausstellungen.

KL: Ja, das sind Leute, die mit mir im Bachelor studiert haben. Renaud Loda und Sébastien Verdon. Die haben in Neuchâtel einen Off-Space, den OLM Space, das ist mein Lieblingsort in der Romandie. Und auch die Ausstellung im Piano Nobile war eine gute Erfahrung. Sehr nette Leute. Und die haben jetzt auch diese schöne Publikation herausgegeben.

CB: Du hast eine sehr übersichtliche Homepage. Wie machst Du das mit Deiner Selbstdokumentation? Führst Du eine Art Werkverzeichnis? Benutzt Du eine Software?

KL: Genau das ist mein nächstes Ziel. Ich muss das so schnell wie möglich machen. Ich glaube, ich löse einen Kleio-Account, das war früher Beryll. Anina Schenker macht das. Ich habe es getestet, und ich glaube, es funktioniert noch nicht ganz alles, aber es ist vielversprechend. Und ich brauche unbedingt so etwas. Bisher habe ich alles auf tausend verschiedenen Ordnern und drei HDs. Wenn ich Bilder suchen muss, dauert das immer hundert Jahre.

CB: Das ist also ein Projekt?

KL: Ja, ein Dringendes. Und es wird viel zu tun geben.

CB: Noch eine Frage zu den Arbeiten, die sich über die Dauer der Ausstellung zersetzen oder zerstören. Was ist, wenn ein Sammler oder eine Institution ein solches Werk kauft? Gibst Du da Anweisungen zum Aufbau?

KL: Das ist eine schwierige Sache. Ich habe mich bei Leuten, die damit Erfahrung haben, erkundigt, und ich habe mir überlegt, einen Vertrag zu machen für einen bestimmten Kaufpreis und dann eine Art Anstellungsvertrag für jedes weitere Mal, wenn das Werk gezeigt werden soll. Aber ich weiss nicht, ob das schlau ist. Was ist, wenn ich dann nicht kann oder wenn es in hundert Jahren wieder gezeigt werden soll? Heute habe ich mit Konservatoren gesprochen und habe genau diese Frage gestellt. Was sie sich wünschen würden, wenn sie eine solche Arbeit aufbauen müssten. Da hatte einer die Idee, dass man beispielweise bei der Arbeit mit den Töpfen einige Prototypen drehen und brennen könnte. Die würden dann nicht ausgestellt, könnten aber als Vorlage für den Töpfer dienen, der die macht. So kann er die auch hochheben und sehen, wie schwer, wie dick- oder dünnwandig, und ich würde auch ungefähr die Form vorgeben, die dann auch variierbar ist. Und ich würde vermutlich eine Art Anleitung mit Anzahl und Tonsorten und so weiter dazulegen. Das kann dann eigentlich jeder Töpfer machen. Es ist nicht so, dass ich das unbedingt selber machen muss.

CB: Ich finde, das sind spannende Fragen, und ich denke, es ist wichtig, dass Du Dich damit auseinandersetzt.

KL: Vielleicht ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass man solche Arbeiten verkauft. Aber man weiss es halt nicht und wenn dann eine Anfrage kommt, möchte ich nicht sagen müssen, dass ich keine Ahnung habe. Das wirkt dann so unprofessionell. Tatsächlich musste ich für eine Ausstellung auch einen Preis machen, und dann hab ich mich ein bisschen erkundigt.

CB: Zum Abschluss: Wie sieht denn Dein Blick nach vorn aus? Hast Du gerade konkrete Projekte oder Ziele, die Du in nächster Zeit anstrebst?

KL: Sicher diese Ausstellung in London, die beschäftigt mich sehr und macht mich auch nervös. Dann ist es sicher ein Ziel, dieses Atelier hier einzurichten und etwas enorm Schweres zu machen (lacht), weil ich jetzt einen 5-Tonnen-Kran habe!


© SIK-ISEA; Dieses Interview wird wie folgt zitiert: Interview von Claudia Blank mit Karin Lehmann, 8. Januar 2015, SIK-ISEA.